Klimakleber, Klimaaktivist:innen und Lützerath – Warum die Debatte gerade so hochkocht

 

Klimakleber, Klimaaktivist:innen und Lützerath – Warum die Debatte gerade so hochkocht 

Wer in den letzten Monaten die Nachrichten verfolgt hat, kommt an drei Schlagwörtern kaum vorbei: Klimakleber, Klimaaktivist:innen und Lützerath. Sie sind längst nicht nur Randthemen für Umweltinteressierte. Sie stehen für Konflikte, die mitten in die Gesellschaft hineinreichen: Verkehr blockiert, Häuser geräumt, Bagger im Braunkohlerevier. Was steckt dahinter? Ein Versuch, die Lage zu sortieren.


Klimakleber: Symbol und Reizfigur 

Die sogenannten „Klimakleber“ – meistens Mitglieder der Letzten Generation – kleben sich seit 2022 regelmäßig auf Straßen fest. Hände auf Asphalt, Sekundenkleber als Waffe, der Verkehr kommt zum Erliegen. Ihr Ziel: Aufmerksamkeit. Nicht für sich selbst, sondern für die Klimakrise.

Fakten:

  • Allein 2022 gab es laut Polizei Berlin über 500 solcher Aktionen in der Hauptstadt.

  • In München sprach die Staatsanwaltschaft 2023 von „wiederholten Störaktionen“ und leitete über 1700 Verfahren ein.

  • Kritiker:innen sagen: Das blockiert Rettungswege, gefährdet Menschen. Befürworter:innen: Ohne Nervfaktor hört niemand mehr hin.

Ob man es gut findet oder nicht – die Aktionen funktionieren. Kameras sind da, Talkshows laden ein, Politiker:innen reagieren. Und ja, Autofahrer:innen flippen aus, wenn sie morgens im Stau stehen, während vorne jemand mit Neonweste klebt. Aber genau das ist die Strategie: nerven, polarisieren, Gesprächszwang erzeugen.


Klimaaktivist:innen: Vielfalt statt Einheitsbild

Die Kleber sind nur ein Teil einer viel größeren Bewegung. Fridays for Future, Extinction Rebellion, Ende Gelände – alle mit unterschiedlichen Taktiken, aber ähnlicher Botschaft: „Wir haben keine Zeit mehr.“

Ein Blick auf Zahlen:

  • Die globale Durchschnittstemperatur ist seit Beginn der Industrialisierung um rund 1,2 Grad gestiegen (Stand 2023, Quelle: IPCC).

  • 2022 war in Deutschland das sonnigste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (1881), mit massiven Dürreschäden in der Landwirtschaft.

  • Im gleichen Jahr betrug der deutsche CO₂-Ausstoß ca. 746 Millionen Tonnen – weit entfernt vom Ziel der Bundesregierung, bis 2030 die Emissionen um 65 % gegenüber 1990 zu senken.

Aktivist:innen arbeiten mit ganz unterschiedlichen Methoden: wissenschaftliche Vorträge, stille Mahnwachen, medienwirksame Blockaden. Die Bewegung ist kein homogener Block, sondern ein Patchwork. Manchmal harmonisch, manchmal auch zerstritten. Manche setzen auf Dialog, andere auf Eskalation.


Lützerath: Ein Dorf wird Symbol

Dann ist da noch Lützerath. Ein kleines Dorf am Rand des Braunkohletagebaus Garzweiler II in Nordrhein-Westfalen. Eigentlich längst verlassen – Häuser abgerissen, Menschen umgesiedelt. Aber: ein paar Bewohner:innen hielten durch. Und Klimaaktivist:innen machten das Dorf ab 2020 zu einem Ort des Widerstands. Baumhäuser, Barrikaden, Workshops. Ein bisschen Woodstock, ein bisschen Endzeitfilm.

Im Januar 2023 kam die Räumung. Polizei gegen Aktivist:innen, Schlagstöcke, Wasserwerfer, Schlamm bis zu den Knien. Bilder, die durch die Welt gingen. Über 35.000 Menschen demonstrierten dort, darunter Greta Thunberg. Am Ende war das Dorf weg, der Tagebau rückte näher. Aber der Kampf hatte Schlagzeilen gemacht.

Interessant: Der Deal zwischen Bundesregierung, NRW-Landesregierung und RWE sah eigentlich vor, den Kohleausstieg bis 2030 vorzuziehen – acht Jahre früher als geplant. Gleichzeitig durften aber noch 280 Millionen Tonnen Braunkohle unter Lützerath gefördert werden. Ein klassischer Kompromiss: Fortschritt und Rückschritt in einem.


Die größere Frage: Worum geht es eigentlich?

Es geht nicht nur um ein Dorf oder um Sekundenkleber. Sondern um die Klimakrise – ein Problem, das größer ist als jede Schlagzeile.

  • Deutschland hat sich im Pariser Klimaabkommen verpflichtet, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen.

  • Laut Umweltbundesamt wird Deutschland die Ziele für 2030 nach aktuellem Stand klar verfehlen, wenn keine zusätzlichen Maßnahmen kommen.

  • Der Energiesektor ist mit rund 30 % der größte Emittent von Treibhausgasen in Deutschland (Stand 2022).

Die Aktionen, ob klebend oder protestierend, sind Symptome eines massiven politischen Drucks. Viele Aktivist:innen sehen keine andere Möglichkeit, als Regeln zu brechen, weil sie glauben, dass die Regeln selbst zu langsam reagieren.


Gesellschaftliche Reaktionen: Von Empörung bis Sympathie

Spannend ist die Bandbreite an Reaktionen.

  • Laut einer Umfrage von Infratest dimap (ARD, 2023) lehnen rund 80 % der Deutschen Straßenblockaden ab.

  • Gleichzeitig unterstützen über 60 % grundsätzlich mehr Klimaschutzmaßnahmen.

Das heißt: Die Mehrheit ist fürs Klima, aber gegen die Methoden. Ein klassischer Konflikt zwischen Zielen und Wegen. Manche Politiker:innen fordern härtere Strafen – bis hin zu Präventivhaft in Bayern. Andere warnen: Wer legitimen Protest kriminalisiert, verschärft nur die Radikalisierung.

Ein bisschen erinnert das an frühere Protestbewegungen. Anti-Atomkraft, Castor-Transporte, Startbahn West. Auch damals gab es heftige Konflikte, und vieles, was damals „radikal“ wirkte, ist heute Konsens. Niemand würde heute ernsthaft neue Atomkraftwerke mitten in Deutschland bauen wollen. Oder?


Persönlicher Einschub

Ganz ehrlich: Wenn man morgens im Stau steht und einen Termin hat, nervt es gewaltig, wenn vorne jemand auf der Straße sitzt. Aber wenn man dann die Nachrichten über Hitzewellen, Waldbrände oder Starkregen liest, wirkt es auch irgendwie kleinlich, sich nur über den Stau aufzuregen. Der Punkt: Beides ist gleichzeitig wahr. Es nervt, und es ist notwendig, dass jemand nervt.


Was bleibt nach Lützerath und Kleberaktionen?

Wahrscheinlich: mehr Streit. Aber Streit ist nicht per se schlecht. Er zwingt uns, über Prioritäten zu sprechen. Wollen wir weiter fossile Energien fördern? Wie viel Einschränkung nehmen wir in Kauf, um Emissionen zu senken? Und wie gehen wir mit denen um, die uns zwingen wollen, schneller Antworten zu finden?

Die nächsten Jahre werden zeigen, ob Deutschland wirklich Richtung Klimaneutralität marschiert – oder ob die Proteste nur lauter werden. Sicher ist: Weder Sekundenkleber noch Polizeiknüppel lösen das Grundproblem.


FAQ

Warum kleben sich Klimaaktivist:innen auf Straßen?
Um mediale Aufmerksamkeit für die Klimakrise zu erzwingen und politischen Druck aufzubauen.

Was ist in Lützerath passiert?
Das Dorf wurde 2023 geräumt, um den Braunkohletagebau Garzweiler II zu erweitern. Aktivist:innen hatten das Dorf zuvor besetzt.

Sind die Aktionen legal?
Straßenblockaden gelten als Nötigung und führen oft zu Strafverfahren. Dennoch berufen sich Aktivist:innen auf zivilen Ungehorsam.

Hat der Protest etwas gebracht?
Direkt: schwer messbar. Indirekt: enorme Aufmerksamkeit, politische Diskussionen, Druck auf Regierung und Konzerne.

Wird Deutschland seine Klimaziele erreichen?
Nach aktuellem Stand eher nicht – zumindest nicht ohne deutlich stärkere Maßnahmen.


Labels: Klimakleber, Klimaaktivisten, Lützerath, Braunkohle, Kohleausstieg, Klimaschutz, Letzte Generation, Fridays for Future, Extinction Rebellion, Protestbewegung

Meta-Beschreibung: Klimakleber, Klimaaktivist:innen und Lützerath prägen die Klimadebatte in Deutschland. Fakten, Hintergründe, Konflikte und warum der Streit erst am Anfang steht.

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